Unsichtbarkeit und Terror

Unsichtbarkeit und Terror. Zu einem Motiv der technischen Zukunft bei H. G. Wells, J. Verne und im Roman der Weimarer Republik (H. Dominik und K. Siodmak). In: literatur für leser 30 (2007), 213–239.

Die Science Fiction der Weimarer Republik hat keinen guten Ruf; über die Gründe muss man nicht lange nachdenken. Vorgelegt wird hier ein Versuch, an Hans Dominik (1872–1945) und Kurt Siodmak (1902–2000) einige Züge herauszustellen, die das Bild auffrischen können, das von der vorurteilsbehafteten einschlägigen Forschung gezeichnet wird. Gemeinsames inhaltlich leitendes Motiv für die herangezogenen Werke ist das der Unsichtbarkeit der Person. Eine markante Stufe in der neueren erzählliterarischen Tradition bildet hier H.G. Wells mit „The Invisible Man“ (1897), in dessen Konzeption Unsichtbarkeit für Terrorismus steht. Auch ein postumer Roman (freilich durch den Nachlassverwalter bearbeitet) von Jules Verne wendet sich dem Motiv zu. In der ersten Hälfte der 20er Jahre findet sich der Unsichtbare als Thema in der Romanheftserie „Sir Ralf Clifford“ (1921–25). Die Fähigkeit zum Unsichtbarmachen ist hier, wie schon bei Wells und Verne, kein Geschenk von Jenseitsfiguren mehr, sondern (archaisch-spekulative) Naturwissenschaft; zudem ist sie weder gottlos noch teuflisch, sondern mit einer sozialreformerischen Komponente verbunden. Ähnlich Hans Dominik im fünften seiner Zukunftromane, „König Laurins Mantel“ (1928). Der bei Wells vorwaltende Gedanke der Unsichtbarkeit im Dienst des Terrors bleibt hier allerdings völlig fern. Kurt Siodmak schließlich, 1902 in Dresden geboren und vielschreibender Autor, wird mit einer seiner frühen Erzählungen 1926 im US-Magazin „Amazing Stories“ nachgedruckt; das hat zwar dazu geführt, dass man 1926 als Geburtsjahr des Genres bezeichnet hat; doch geht es Siodmaks Romanen lange nur um antizipierte Erfindungen als Anlass. Auch war die Technik, die da implementiert wird, durchaus in vielen Fällen bereits bekannt, so im bald erfolgreich verfilmten „F.P. 1 antwortet nicht“ (1931; 1933 dreisprachig verfilmt). Mit „Die Macht im Dunkeln“ gewinnt das wissenschaftlich-technische Niveau seiner Extrapolationen aber eine ganz neue Qualität: Nun sind es die Grundlagen der theoretischen Physik der 20er Jahre, der Quantenphysik und der Wellenmechanik, aus denen Siodmak das Verfahren, Objekte unsichtbar zu machen, entwickeln will. Der Zweck der Unsichtbarkeit wird wieder der gleiche wie zu Zeiten des frühen Wells; Zweck der Unsichtbarkeit ist die Errichtung eines Systems von Terror. Das Ziel dieses Terrors, nämlich Herrschaft über die Welt, liegt nun, im Kursus der 30er Jahre, auch in der Herbeizwingung des allgemeinen Friedens.