Späthumanistische Novelle und histoire tragique als prototextliches System in Johann Gottfried Schnabels Cavalier-Roman. In: Johann Gottfried Schnabels Cavalier-Roman. Vermessung eines lange unterschätzten Werks. Hg. von Günter Dammann. Würzburg 2017, 179–237.
Die Gattungswelt von Schnabels „Cavalier“ wird besser nicht aus den Mustern der ‚galanten‘ Literatur verstanden, sondern (zum einen) aus der späthumanistischen Novellistik (Leitfigur: Matteo Bandello, 1485–1561) und (zum andern) aus der nicht zuletzt durch die Wirkungsgeschichte Bandellos initiierten ‚histoire tragique‘, die zuerst im Bereich der frz. Literatur aufgetreten ist und hier die Erzählprosa im Gattungsbereich des Tragischen repäsentiert. Das Verhältnis des „Cavalier“-Romans zur späthumanistischen Novellistik wird in einem ersten Schritt nur über Gleichheits- und Ähnlichkeitsbeziehungen von Motiven einzelner Erzählungen ausgewiesen. Ein allgemeinerer Blick kann dann, so scheint mir, die Gesamtheit des Romans aus der Hypothese einer ‚imitatio‘ der italienischen Novellistik des 16. Jhdts. plausibel machen. Ist hiermit schon das frühere Skandalon eines ‚Pornographen‘ Schnabel literaturgeschichtlich ‚normalisiert‘, so wird die Gesamtheit der intertextuellen Bezüge, in denen der deutsche Roman von 1738 steht, erst erkennbar, wenn man Schnabels zweiten Roman in einen konkreten Dialog mit der ‚histoire tragique‘ setzt. Schnabels Gebrauch der ‚histoire tragique‘ ist nicht mehr der traditionelle von Gesetz, Übertretung und Bestrafung. Er lässt seinen Elbenstein vielmehr eine Geschichte absolvieren, in der Vergehen auf Vergehen gehäuft, die Strafe aber lange ausgesetzt wird, bis sie Jahre später einsetzt: Der Protagonist verliert kurz nach der ersten Eheschließung Frau und Kind, muss (wie sein reales Vorbild v. Stiehl) die hohe Stelle in Hofdiensten wieder verlassen und sinkt als Gutsbesitzer über zwölf lange Jahre in immer größere Armut, erleidet auch vorzeitigen physischen Verfall. Alle diese „gehabten Unglücks-Fälle“ sieht Schnabels Protagonist jetzt „als gerechte Straffen des Himmels“ an, die er mit seinem zügellosen Leben verdient habe. Elbensteins frühes Techtelmechtel mit einer Nonne ruft sogar Satan selbst auf den Plan.